Sie haben jegliches Gefühl für Zeit verloren, schenken ihrem Körper keine Aufmerksamkeit und glauben, nur mehr funktionieren zu müssen: Burn-Out-PatientInnen im fortgeschrittenen Stadium der Krankheit gleichen oft fremdbestimmten Wesen. Wie wirken sich der Verlust des eigenen Rhythmus und das bruchstückhafte Zeitbewusstsein auf den Körper aus? Diese – für künftige Therapieansätze relevanten – Zusammenhänge untersuchen WissenschafterInnen des Instituts für Philosophie an der Katholisch-Theologischen Fakultät und des Instituts für Sportwissenschaft der Karl-Franzens-Universität Graz in einem vom österreichischen Wissenschaftsfonds FWF geförderten Projekt. Auftakt ist die Tagung „Bodytime“, die am 23. und 24. Mai 2014 an der Uni Graz stattfindet.
Zeit und Körperlichkeit stehen in einem direkten Zusammenhang. Ein Beispiel dafür ist das Altern. Hier besteht eine Beziehung jenseits des Bewusstseins, erklärt Univ.-Prof. Dr. Reinhold Esterbauer, Leiter des Instituts fürs Philosophie an der Katholisch-Theologischen Fakultät: „Das Altern oder auch Zustände wie Müdigkeit und Erschöpfung werden nicht gezielt gesteuert, sondern passieren mit uns.“ Bewusst erleben Menschen den Konnex zwischen Zeit und Leiblichkeit dagegen beim Sport, bestätigt Ao.Univ.-Prof. Dr. Andrea Paletta vom Institut für Sportwissenschaft: „Beim Laufen, Tanzen oder bei Yoga wird auf das individuelle Tempo geachtet und die Aufmerksamkeit auf rhythmisches Atmen gerichtet.“ Die Zusammenarbeit beider wissenschaftlichen Disziplinen ermöglicht einen ganzheitlichen Blick auf die Beziehung zwischen dem individuellen Zeitgefüge und der eigenen körperlichen Wahrnehmung – spezialisiert haben sich die ForscherInnen dabei auf Burn-Out-PatientInnen in klinischer Behandlung.
Erste Ergebnisse des für drei Jahre anberaumten Forschungsprojekts lassen sich bereits feststellen, bestätigt Paletta: „In Tanztherapien haben wir gesehen, dass die PatientInnen zu fast keiner Variation fähig sind, sie zeigen nur mehr rudimentären Antrieb oder Rhythmus – sie ‚funktionieren‘ einfach.“ Dasselbe Muster lässt sich in der Wahrnehmung ihres Tagesablaufs ablesen: „Es dreht sich alles nur um die Arbeit, Zeit für die eigenen Bedürfnisse existiert nicht mehr.“ Nun stehen die WissenschafterInnen vor der Frage, ob sich durch spezielle Bewegungstherapien, in der die PatientInnen wieder lernen, auf Signale des Körpers zu achten, eine Umstellung ihrer Wahrnehmung des eigenen Ich im zeitlichen Gefüge des Lebens bewirken lässt. „Das Ziel ist, die Betroffenen zu motivieren, sich selbst wieder ins Spiel zu bringen“, fasst Paletta zusammen.
Tagung: „Bodytime. Zeitdynamik und leibliche Erfahrung“
Zeit: Freitag, 23., und Samstag, 24. Mai 2014, Beginn jeweils um 9 Uhr
Ort: RESOWI-Zentrum, Sitzungssaal SZ 15.21, Bauteil A/2.OG, Universitätsstraße 15, 8010 Graz