Kein Sport ohne Stretching! Doch auch in der Therapie von Erkrankungen kommt Dehnen eine besondere Rolle zu. Etwa bei der Behandlung einer motorischen Behinderung bei Kindern, der spastischen Zerebralparese. Bei den kleinen PatientInnen untersucht Annika Kruse, Sportwissenschafterin an der Universität Graz, die Wirkung sowohl kurz- als auch langfristiger Dehneffekte. Erste Ergebnisse deuten darauf hin, dass einmaliges Dehnen die Wadenmuskeln gar nicht erreicht.
Tägliche Therapie
Die Zerebralparese resultiert aus einer frühkindlichen Gehirnschädigung. Doch erst wenn die Kinder Schwierigkeiten beim Aufstehen oder Gehen haben, wird die Störung entdeckt. „Die betroffenen Muskeln wachsen schon ab dem Babyalter nicht mehr mit dem Knochen mit. Deswegen wäre es gut, früh einzugreifen. Dehnen wird nahezu täglich als Therapie bei Kindern mit Zerebralparese eingesetzt. Ob regelmäßiges Training der Verkürzung von Muskeln und der Entwicklung möglicher Deformitäten vorbeugen kann, wurde jedoch noch nicht ausreichend untersucht“, beschreibt Annika Kruse ihren wissenschaftlichen Fokus.
Sehne übernimmt
Die Sportwissenschafterin mit dem Spezialgebiet der Bewegungswissenschaft misst und bewertet in einem Hertha-Firnberg-Projekt des Wissenschaftsfonds FWF mit Unterstützung von Markus Tilp, Professor am Institut für Bewegungswissenschaften, Sport und Gesundheit der Uni Graz, und des Kinderorthopäden Martin Svehlik die Effekte zweier Dehnmethoden auf die Wadenmuskulatur junger PatientInnen. Erste Messergebnisse zu den kurzfristigen Effekten der Dehnmethoden liegen bereits vor. Sie deuten darauf hin, dass die Dehnung den verkürzten Muskel gar nicht erreicht, sondern die Sehne im Gelenk die Bewegung übernimmt, erläutert Kruse.
Muskelschwäche
Entgegen der verbreiteten Vorstellung, die Muskulatur, genauer gesagt den Muskelbauch, auch nach einer kurzen Dehneinheit verlängern zu können, zeigt sich in den ersten Ergebnissen, dass sich in der spastischen Muskel-Sehnen-Einheit eher die Sehne dehnen lässt. „Die vergrößerte Beweglichkeit im Gelenk, die wir gefunden haben, wird folglich über die Sehne bewirkt. Diese Beobachtung ist wichtig für die weitere Anwendung“, so die Sportwissenschaftlerin.
Langfristig könnte sich eine Dehnung der Sehne sogar negativ auf das Verhältnis zwischen Muskel und Sehne auswirken, wodurch die spastischen Muskeln noch schwächer werden könnten. Derzeit werden die Daten des mehrwöchigen Trainings ausgewertet. Annika Kruse hofft, dass die finalen Ergebnisse der Studie dabei helfen, das Wissen über die spastische Zerebralparese zu erweitern und bald eine gezielte und vor allem effektive Therapie für die betroffenen Kinder und Jugendlichen zu ermöglichen.
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